„Wenn Du entdeckst, dass Du ein totes Pferd reitest, dann steig ab.“
– Weisheitsspruch der Dakota-Indianer
Ein Burnout ist für jeden betroffenen Menschen eine persönliche Katastrophe, eine Bankrotterklärung des bisherigen Lebensstils – dabei oft mit Ansage, denn die Wurzeln von manchen Burnouts liegen oft schon in viel früheren Zeiten.
Ein Burnout bedeutet, dass der bisherige Lebensentwurf pulverisiert wurde – nichts ist mehr so, wie es war: Ähnlich wie bei 9/11 für Amerika oder bei Fukushima für Japan gibt es für den Betroffenen eine Zeit vor dem Burnout und eine Zeit nach dem Burnout.
Wenn der Lebensrahmen aber infolge eines Burnouts nicht mehr stimmt … sollte dies dann nicht auch in den Konzepten zur Vorbeugung berücksichtigt werden?
Ich bin immer wieder erstaunt, dass Mitarbeiter nach einem Burnout bei ihrer Rückkehr in ihre alte Firma erwarten, dass sie „irgendwie“ dort wieder weitermachen, wo sie vor ihrem Burnout aufgehört haben. Obwohl der Abbruch durch Burnout so abrupt gewesen war, so ist das Bild der „alten Ordnung“ immer noch in vielen Köpfen verankert … und die Menschen suchen nach den alten, ihnen damals vertrauten Strukturen.
Sicherlich, die Kolleginnen und Kollegen von damals sind noch da, auch ihr Chef und der Abteilungsname hat sich auch nicht geändert, aber sie nehmen nicht wahr, dass ein halbes Jahr viele Veränderungen mit sich gebracht haben. Ihr unvorhergesehener Ausfall musste von den KollegInnen kompensiert werden – zunächst in einem Notfallmodus, später sind dann neue Abläufe und Prozesse entstanden, die Abteilung hat ein neues Gleichgewicht gesucht und gefunden … und damit ist auch der Rahmen ein ganz anderer geworden.
Schaut man sich die Zeit vor einem Burnout an, so sind die letzten Wochen, Monate, vielleicht sogar Jahre auch schon davon gekennzeichnet gewesen, dass der Lebensrahmen des Menschen mehr und mehr zerbrochen ist. Immer häufiger musste der Mitarbeiter reagieren auf für ihn überraschende Veränderungen … und immer mehr Energie (Zeit, Nerven, Einsatz, Kompromisse, usw.) aufwenden, um seinen alten Rahmen, seinen bisherigen Lebensstil zu behaupten. Burnout ist schließlich der letzte Schritt – der alte Rahmen ist endgültig zerbrochen. Die persönliche Katastrophe ist eingetreten. Punkt!
Warum fällt uns das Vorbeugen so unendlich schwer?
Vielleicht kennen Sie auch die fiktive Geschichte eines Kindes, das in einen Brunnen fällt … und welche Anstrengungen dann unternommen werden, um dieses Kind wieder zu retten … und dass ein Deckel auf dem Brunnen den Sturz des Kindes hätte verhindern können. Wir wissen, dass Vorbeugen oft der billigste Weg ist … und doch tun wir uns schwer damit, dies ernsthaft einzusehen und rechtzeitig die Kurve zu kriegen. – Warum?
Vielleicht ist dies ja DAS Thema unserer Zeit – es liegt in der Regel nicht am fehlenden Wissen, sondern an einer tieferen Erkenntnis von Krisen und Veränderungen, um schließlich die Konsequenzen daraus zu ziehen und ins Tun zu kommen. Denn die Prinzipien einer gesunden Lebensführung – und damit einer echten Vorbeugung – sind uns allen bekannt, und doch verstoßen wir oft gegen grundlegende Regeln – Warum?
In den nächsten Blogbeiträgen werde ich verschiedene Experten vorstellen, die sich mit chaotischen Veränderungen in unserer hochkomplexen, stürmischen Welt beschäftigen und möchte von deren Erkenntnissen dann jeweils den Bogen schlagen zum Thema „Prävention vor Überlastung und Burnout“.
Schwarze Schwäne lauern überall
Der erste Experte – Nassim Nicholas Taleb – hat im Jahre 2008 mit „Der Schwarze Schwan. Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse“¹ ein vielbeachtetes Buch geschrieben. In diesem Buch geht es darum, „eine schwerwiegende Beschränkung bei unserem Lernen durch Beobachtung oder Erfahrung und die Zerbrechlichkeit unseres Wissens“ aufzudecken. Wir haben den starken Drang, uns auf das zu konzentrieren, was für uns einen Sinn ergibt … und ignorieren dabei die Ereignisse, die uns völlig aus der Spur werfen können.
Schwarze Schwäne sind nach Taleb Ereignisse, die …
- als Ausreißer weit jenseits von unseren normalen Erwartungen liegen – nichts hat uns darauf vorbereitet, dass so etwas passieren könnte, wir sind völlig überrascht und überrumpelt worden;
- diese Ereignisse haben enorme Auswirkungen in unserer Gegenwart und Zukunft und
- dennoch werden im Nachhinein Anstrengungen unternommen, um diese „logisch“ zu erklären – und so in unser normales Weltbild einzuordnen.
Ein Schwarzer Schwan zeichnet sich demnach durch „Seltenheit, massive Auswirkungen und Vorhersagbarkeit im Rückblick“² aus.
Kommt Ihnen das nicht bekannt vor? – Ist Burnout nicht auch ein Schwarzer Schwan im Leben eines Menschen?
- Als ein – hoffentlich – seltenes Ereignis, das in seiner Tragweite unseren Erfahrungshorizont sprengt, uns völlig überrascht und überrumpelt hat?
- Hat Burnout als Konsequenz nicht enorme Auswirkungen auf die gegenwärtige und zukünftige Lebensgestaltung?
- Und werden nicht auch bei Burnout in der Rückschau viele Erklärungsversuche unternommen, um zu erklären und zu verstehen, was passiert ist? Mit dem Ziel, daraus für die Zukunft zu lernen, damit so etwas nie wieder eintreten kann?
Die Vergangenheit ist unser kostbarer Erfahrungsschatz, wenn es darum geht, normale Ereignisse und Entwicklungen zu verstehen. Diese können wir mit Hilfe unserer Erfahrungen einordnen und verarbeiten, um für die Zukunft besser gewappnet zu sein.
Doch um mit Ereignissen, Katastrophen, also einem Schwarzen Schwan, besser umzugehen, genügt unser Erfahrungswissen nicht – hier müssen wir andere Maßstäbe anlegen, um aus dem stürmischen Ozean wieder in ruhigere Gewässer zu gelangen.
Was lässt sich aus diesem Konzept für Burnout-Prävention und Vorbeugung ableiten?
Die entscheidenden Fragen sind, ob und wie man sich auf einen Schwarzen Schwan – also auf eine mögliche Katastrophe – vorbereiten kann.
Die Antwort lautet: Im Grunde genommen kaum, weil ein Schwarzer Schwan – so steht es ja in der Definition – den Erwartungsrahmen pulverisiert.
AAAABER: Viel wäre schon gewonnen, wenn wir als ersten Schritt die Existenz, die Möglichkeit von Schwarzen Schwänen anerkennen und in unseren Planungen und Konzepten mitberücksichtigen würden. Und dieses Eingeständnis geschieht in vielen Lebensbereichen einfach noch zu wenig: Wir glauben fest daran, dass wir unser Leben, unsere Entwicklung weitgehend kontrollieren können – das ist aber eine verhängnisvolle Illusion.
Ein Beispiel: Casinos sind Wirtschaftsunternehmen mit einem Geschäftsmodell, das ein Höchstmaß an Berechenbarkeit und Kontrolle ermöglicht. Doch auch hier sind „Schwarze Schwäne“ aufgetreten, welche die Casinos „jenseits ihres Geschäftsmodells“ angegriffen haben und zu beinahe existenzgefährdeten Verlusten führten:³
- Die größte Attraktion in Las Vegas war die Tiger-Show mit Siegfried und Roy, die durch den Angriff eines Tigers auf Roy zeitweilig ausgesetzt werden musste.
- Ein Bauunternehmer, der sich bei der Errichtung eines Hotelanbaus verletzt hatte, war über die ihm angebotene niedrige Entschädigungssumme derart entzürnt, dass er versuchte, das Casino in die Luft zu sprengen.
- Für Spieler, die einen bestimmten Gewinnbetrag überschritten hatten, waren spezielle Formulare beim Finanzamt einzureichen – ein Mitarbeiter hatte dies verschlafen und damit ein Steuervergehen erzeugt, welches beinahe die Existenz des Casinos gekostet hätte.
- Die Tochter des Casinobesitzers wurde entführt – dieser sah sich gezwungen, gegen die Gesetze für Spielbanken zu verstoßen und das Lösegeld aus den Tresoren seines Casinos vorzustrecken, um die geforderte Lösegeldsumme schnell aufbringen zu können.
Glücksspiele gehen immer! So möchte man meinen! – Wenn aber selbst Casinos keine hundertprozentig sichere Umgebung bieten, wie können wir dies in unserem Leben erwarten?
Eines leuchtet doch ein:
Eine effektive Prävention, Vorbeugung soll uns nicht auf die kleinen, alltäglichen Unwägbarkeiten, sondern auf die großen Umstürze vorbereiten!
Dann sollten diese Ereignisse aber auch in einem Präventions-Konzept miterfasst und behandelt werden.
1000 Tage können nicht beweisen, dass wir rechthaben, aber ein Tag kann beweisen, dass wir uns irren!
Und dieser Irrtum könnte verheerende Konsequenzen haben. Taleb verdeutlicht dieses Prinzip mit Hilfe der Geschichte eines Truthahns:
„Wir wollen uns einen Truthahn vorstellen, der jeden Tag gefüttert wird. Jede einzelne Fütterung wird die Überzeugung des Vogels stärken, dass es die Grundregel des Lebens ist, jeden Tag von freundlichen Mitgliedern der menschlichen Rasse gefüttert zu werden, die „dabei nur sein Wohl im Auge haben“, wie ein Politiker sagen würde. Am Nachmittag des Mittwochs vor dem Erntedankfest wird dem Truthahn dann etwas Unerwartetes widerfahren, und er wird seine Überzeugung revidieren müssen.“⁴
Talebs Schlussfolgerung: Unser Erfahrungswissen kann uns letztlich nicht helfen, mit Gewissheit unsere Zukunft vorherzusagen!⁵
Das wird sich schon wieder einrenken: Bisher ist doch alles gut gegangen!
Für die Burnout-Prävention kann dies bedeuten, dass wir ab einem gewissen Punkt unsere Selbstsicherheit – „Bisher ist doch alles gut gegangen!“ – aufgeben sollten und uns den sich verändernden Realitäten stellen müssen. Wenn wir zum Beispiel an uns beobachten, …
- dass „kleine emotionale Abstürze“ zeitlich immer häufiger auftreten,
- dass wir uns an ein abendliches Bierchen gewöhnen zur Entspannung,
- dass wir Dinge, die wir sonst gerne getan haben, eine ganze Zeitlang schon nicht mehr tun,
- dass wir die ersten Urlaubstage regelmäßig eine kleine Grippe oder andere Beschwerden haben, bevor wir dann wirklich herunterfahren und mit Erholung beginnen,
- dass die kleinen Bitten um Hilfe von unseren Freunden bei uns zunächst eine „Auch-das-noch!“-Reaktion auslösen, bevor wir den Bitten dann doch entsprechen,
- dass nachts immer häufiger das Kopfkino der unerledigten Aufgaben des Tages läuft … und wir den Abstellknopf für diese Nachtsendung immer häufiger vergeblich suchen,
- …
- …
Es gibt viele kleine Signale, später dann Warn- und Alarmzeichen, die wir ignorieren, bis es dann wirklich zu spät ist. Vielleicht schauen wir auch nur auf einzelne Signale, erkennen aber nicht das gesamte Muster der Signale, die sich gegenseitig verstärken.
Was sollten Sie jetzt tun? Was heißt „echtes Vorbeugen“ im Sinne von Taleb?
- Auf unserer Homepage www.die-kurve-kriegen.de finden Sie eine Checkliste, mit der Sie ermitteln können, ob Sie Burnout-gefährdet sind: Füllen Sie diese Checkliste für sich aus!
- Wenn als Ergebnis herauskommt, dass in verschiedenen Bereichen Burnout-Gefahr besteht, dann nehmen Sie dies ernsthaft zur Kenntnis!
Ernsthaft heißt, dass Ihnen klar sein sollte, dass es wirklich um Sie geht – und niemanden sonst! Und es kann Sie treffen! - Spielen Sie für sich durch, was ein möglicher Burnout-GAU (= größter anzunehmender Unfall) für Sie bedeutet: Werden Sie echt beunruhigt!
- Suchen Sie jetzt Rat und Hilfe! Jetzt haben Sie bei den besonders kritischen Punkten noch alle Optionen selbst in der Hand! Je länger Sie warten, desto schwieriger wird es!
- Ändern Sie Ihr Leben – JETZT! – Das ist die wichtigste Aufgabe, die Sie gerade bearbeiten – Ihr Wohlergehen! Ihr Leben! Ihre Zukunft!
Sind Sie besorgt?
Wenn ich Sie durch diesen Text in Unruhe versetzt habe, dann reagieren Sie zumindest klüger als der berühmte Kapitän E. J. Smith, der im Jahre 1907 – historisch belegt – gesagt hatte:
„Ich habe jedoch noch nie einen nennenswerten Unfall erlebt. In all meinen Jahren auf See habe ich nur ein einziges Mal ein Schiff in Not gesehen. Ich habe nie einen Untergang miterlebt und war auch nie in einer gefährlichen Lage, die zu einer Katastrophe hätte führen können.“ ⁶
Nur 5 Jahre später, im Jahre 1912, sank das Schiff von Kapitän Smith und wurde das berühmteste Wrack der Weltgeschichte – die Titanic!