Warum sind Mitarbeiter in den Technischen Diensten besonders burnout-gefährdet?

 

Mitarbeiter und Führungskräfte in den Technischen Diensten (abgekürzt „TD“) hatten auch früher schon Tagesgeschäft, Projekte und Bereitschaftsdienst verrichtet. Das ist an sich nicht neu – neu ist heutzutage hingegen das Tempo und die Intensität, in der diese Aufgaben absolviert werden müssen … und damit gewinnen sie eine neue Qualität. Besonders die Führungskräfte in diesen Bereichen sind hier überdurchschnittlich gefordert:

  • Das Tagesgeschäft organisieren – die Mitarbeiter je nach Erfordernis flexibel führen, einteilen, unterstützen … und
  • zugleich dafür sorgen, dass Geräte, Maschinen und Anlagen störungsfrei und sicher funktionieren – das ist das normale Tagesgeschäft, auch schon geprägt durch viele unvorhergesehene Ereignisse, durch notwendige Abstimmungen mit anderen Bereichen.
  • Projektarbeit kommt auf die Mitarbeiter zu, wenn in Stillständen die Anlagen gewartet und auch technisch weiterentwickelt werden – hierzu werden Pläne aufgestellt, um die knapp bemessenen Zeiten für Reparatur, Wartung und Neubau möglichst optimal zu nutzen – es wird erwartet, dass hier alles reibungslos abläuft.
  • Schließlich soll TD im Bereitschaftsdienst das eigene Expertenwissen zur Verfügung stellen, damit vor allem die Produktion weiterlaufen kann.
  • Doch ganz besonders gefragt sind die Mitarbeiter und Führungskräfte dann bei Störungen, die schnellstmöglich behoben werden sollten. Dieser Teil der Arbeit ist nicht planbar, vor allem nagt an vielen die Ungewissheit, wann sie wieder gerufen werden und ob es ihnen gelingt, hier auch schnellstens die Störursache zu ermitteln und ob die Materialien auch verfügbar sind, um die Störung dann zu beheben. Viele Ungewissheiten, die das innere Gedankenkarussell anwerfen … . 

Tagesgeschäft, Projektarbeiten und Bereitschaftsdienst sowie Störungsbehebung bedeuten ganz unterschiedliche Anforderungen und verlangen verschiedenartige Einstellungen und Fähigkeiten: mal ist es die Fähigkeit zur vorausschauenden Planung, um den nächsten Produktionsstillstand optimal zu nutzen, mal wird eine große Improvisationsfähigkeit und Flexibilität verlangt, um gute Lösungen zu finden, mal ist Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten gefordert, mal ist es notwendig, anderen zu vertrauen, dass sie ihre Arbeit gut verrichten, mal ist es erforderlich, in Nachtstunden schnell in den Arbeitsmodus umzuschalten, mal ist es notwendig, die Arbeit loszulassen, um sich in seiner Freizeit gut erholen zu können.

Diese Aufgabenvielfalt ist in vielen Unternehmen im letzten Jahrzehnt oft personell nicht ausreichend berücksichtigt, da TD als „indirekter Bereich“ angesehen, oft mit der Weiterentwicklung der Anlagen und steigenden Komplexität der Prozesse nicht angemessen mitgewachsen ist. TD steht oft nur im Fokus, wenn es mal „brennt“; wenn es hingegen reibungslos läuft, dann werden die dort erbrachten Leistungen selten wahrgenommen und gewürdigt.

Noch ein Trend sorgt für eine weitere Verschärfung: TD gehörte in Unternehmen lange zum realen Bereich, TD hatte mit Menschen, Anlagen und Maschinen zu tun – doch durch die fortschreitende Arbeitsverdichtung, durch Digitalisierung vieler Prozesse und damit durch die virtuelle Vernetzung vieler Bereiche im Unternehmen (und darüber hinaus) ist TD an die Schnittstelle gerückt von realer Welt und virtueller Welt. Der Informationshunger der virtuellen Welt sorgt nun dafür, dass TD viel ausführlichere Dokumentationen der eigenen Tätigkeiten zur Verfügung stellen muss – ein zusätzlicher Aufwand, der oft aber durch das bestehende Personal erledigt werden soll.

Zusätzlich ist bei der Dokumentation der Tätigkeiten auch eine Umkehrung der Beweislast erfolgt: Musste TD früher die eigenen Arbeitsleistungen an den Anlagen nur allgemein dokumentieren, so muss TD heute durch seine Dokumentation genau beweisen, was wann in welcher Weise an den Anlagen getan wurde, um z.B. im Falle eines Unfalls oder sonstigen Vorfalls rechtssicher Auskunft geben zu können. Das ist ein Berg an Aufgaben und Verantwortung, der von vielen Unternehmen noch gar nicht hinreichend erkannt worden ist. Letztlich sind aber vor allem die Führungskräfte in TD diejenigen, die als erstes daraufhin angesprochen werden dürften.

Ich könnte noch weitere Stichworte nennen, die mir im Laufe meiner Zusammenarbeit mit Mitarbeitern im Shop-Floor aufgefallen sind. Ich möchte es aber hierbei belassen und hoffe, dass ich einige Punkte genannt habe, die als Einstieg in eine Diskussion dienen können.

Meine Fragen zum Einstieg in eine Diskussion:

  • Wenn Sie selbst in TD tätig sind – wie erleben Sie aktuell ihre persönliche Situation? … vielleicht im Vergleich mit der Situation von vor 10 oder 5 Jahren?
  • Mit welchen Strategien versuchen Sie gegenwärtig die Belastungen abzufedern?
  • Wie passen Sie sich als Abteilung an? Welche Handlungsspielräume haben Sie überhaupt in ihrer Organisation?
  • (Haben Sie eigene Fragen, die sie gerne diskutieren würden?)

Noch drei Anmerkungen:

  1. Mir ist bewusst, dass der TD-Bereich hier stellvertretend steht für viele Bereiche, welche in den Unternehmen durch die immensen kulturellen und organisatorischen Veränderungen besonderen Belastungen unterliegen. (Das werde ich in einem anderen Beitrag beschreiben.)
  2. Mir ist auch bewusst, dass nicht zwingend auf Arbeitsverdichtung und hohe Auslastung eine Überlastung und Überforderung – bis hin zu einem Burnout – erfolgen muss. Denn jeder Mensch, jedes Team und jede Organisation verarbeiten die anstehenden Anforderungen auf ureigene Art und Weise.
    Aber gerade im beruflichen Kontext verändern sich die Rahmenbedingungen laufend … und damit wird dann das vormals intakte Umfeld angegriffen – die Lasten werden größer, bis man sie nicht mehr ertragen kann.
  3. Was mir ganz wichtig ist: Ich möchte nicht im Problemrahmen steckenbleiben, sondern dass wir gemeinsam nach Ansätzen, Wegen und Lösungen suchen, um uns gegenseitig zu stärken und zu stützen. Denn Lernen hat für mich viel mit Perspektivenwechsel zu tun: Was ich als großes Hindernis betrachte, kann aus einem anderen Blickwinkel betrachtet ein gangbarer Weg sein.

Ich freue mich auf ihre Kommentare, ihre Ideen und ihre Mitarbeit.

Herzlichst

Ihr Winfried Bachmann